Schwestern und Brüder im Herrn!
Die Zeiten, in denen wir leben, sind sehr unruhig. Unsere Welt ist ein wenig aus den Fugen geraten. Vieles ist nicht mehr so, wie wir es bisher gewohnt waren: in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kirche, ja sogar im alltäglichen Leben. Unsicherheit und Unfrieden machen sich breit, manchmal sogar bis in unser Familienleben hinein. Unser Alltagsleben ist teurer geworden. Da fragen wir uns: wie wird es weitergehen? Was haben wir in den nächsten Monaten oder spätestens im nächsten Jahr zu erwarten? Niemand von uns kann das vorhersagen. Müssen wir Angst vor der Zukunft haben.
Seit Monaten tobt in der Ukraine ein furchtbarer Krieg, der bisher schon einigen tausend Menschen das Leben gekostet hat, Soldaten und Zivilisten. Was wird mit denen sein, die so plötzlich aus dem Leben gerissen worden sind? Wie wird es deren Angehörigen gehen? Wird der Massenmörder vom Kreml noch weiter so viel oder noch mehr Blut vergießen? Ich denke an ein Wort des französischen Jesuiten Teilhard de Chardin, der vor 60 Jahren gesagt hat: „Die Zeit ist nicht mehr fern, da die Menschheit sind entscheiden muss zwischen Anbetung und Selbstmord.“
Anbetung! Ich denke auch an Mutter Teresa von Kalkutta, die einmal gefragt wurde, was die Welt retten wird. Sie antwortete darauf: „Das Gebet! Jede Pfarrei soll in Stunden der Anbetung vor Jesus im Allerheiligsten Altarsakrament hintreten.“
Wir alle, die wir jetzt hier uns in dieser schönen Pfarrkirche versammelt haben, spüren, dass uns unsere menschlichen Beziehungen allein nicht mehr genügen. In diesen so unsicheren Zeiten brauchen wir eine Beziehung nach oben, einen Haltegriff. Wir brauchen heute dringend den, der uns versprochen hat: „Ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ Wir brauchen dringend Jesus Christus!
Ich möchte Ihnen jetzt bei diesem Sonntagsgottesdienst ein paar Gedanken vorlegen zum Thema „Anbetung“. Was bedeutet diese Gebetsform? Was geschieht in der Anbetung? Warum ist sie gerade in der heutigen Zeit so wichtig? Warum sollen wir diese Gebetsform auch in unseren Pfarreien pflegen?
Das Wort „Anbetung“ bzw. „niederknieen vor Gott“ begegnet uns im Neuen Testament 59 Mal. Wir finden dieses Wort schon bei der Geburt Jesu, als Sterndeuter aus dem Orient kamen und als sie das Kind fanden, knieten sie nieder und beteten es an. Als Jesus in der Wüste vom Teufel versucht wird, entgegnet er ihm: „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihn allein anbeten!“ Kranke Menschen warfen sich vor Jesus auf die Knie und baten ihn um Heilung. Als die Jünger den Auferstandenen sahen, fielen sie auf die Knie und beteten ihn an. Und im Brief an die Philipper lesen wir: „Darum hat Gott Jesus über alle erhöht und ihm den Namen gegeben, … damit alle im Himmel und auf der Erde ihre Knie beugen und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.“
Liebe Schwestern und Brüder! Unsere Welt, in der wir leben, unsere Arbeit und Freizeit, unser Alltag und Bekanntenkreis verweisen uns immer weniger auf Gott. Wir leben in einer säkularisierten Welt und unsere Gesellschaft ist dabei, Gott immer mehr an den Rand zu drängen. Um Gott nicht aus unseren Augen (und aus unserem Herzen) zu verlieren, brauchen wir Zeiten des Gebetes und Orte der Stille. Als Sie vorhin Ihre Pfarrkirche, diese Pfarrkirche, betreten haben, da verließen Sie Ihre Alltagswelt draußen und betraten einen heiligen Raum. Sie betreten ein Heiligtum. Ihre Kirche St. Anna ist ein Heiligtum, in dem Sie zuhause sind. In jeder katholischen Kirche brennt vor dem Tabernakel das ewige Licht. Es ist ein Zeichen der Gegenwart Gottes. Mitten in Schöffau wohnt Gott – hier in Ihrer Kirche. Frère Roger Schutz, der evangelische Prior von Taizé, nennt den Tabernakel einen „bewohnten Ort.“ Hier ist der Ort der Stille, hier ist der Ort der Anbetung. Hier braucht es keine Worte mehr, das eucharistische Geheimnis erfüllt den Raum.
Ich bin Ihrem Pfarrer Thomas Renftle sehr dankbar, der schon seit einiger Zeit zusammen mit einigen anderen Stunden der Anbetung hier eingeführt hat. Sie werden vom 12. bis 15. August Tage der Anbetung hier halten. Hier vorne im Altarraum, wird das Allerheiligste in der Monstranz ausgesetzt sein. Und Sie haben die Möglichkeit, Jesus in der Anbetung zu besuchen. In der Stille der Anbetung geschieht nichts Spektakuläres, wir dürfen keine großen Gotteserfahrungen erwarten, keine Visionen, keine romantischen Gefühle steigen auf. Es mag sogar sein, dass es schwerfällt, die Stille auszuhalten. Anbetung ist ja wortloses Beten, Beten des Herzens, Dasein in Liebe. Das Geschöpf kniet vor seinem Schöpfer. Die Anbetung ist ein Akt absoluter Hingabe. Darum können wir nur Gott allein anbeten. Nur vor Ihm beugen wir unsere Knie – und vor keiner anderen Macht in dieser Welt. Nur Ihm können und dürfen wir uns ganz übereignen, denn wo Gott die Ehre und Anbetung geschenkt wird, findet der Mensch zu sich selber. Im Dasein vor Ihm tun nicht wir etwas, sondern ER wirkt in uns. Da strömt Sein Friede in uns ein, und Seine Liebe beginnt in uns zu verwandeln, was nach Erlösung schreit. Im Brot des Lebens ist der Herr gegenwärtig, zwar verborgen und geheimnisvoll, aber wirklich und lebendig. Nie ist der Mensch größer, als wenn er vor Gott sein Knie beugt und Ihn, seinen Schöpfer, anbetet. Von solchen Momenten leben wir, solche Begegnungen brauchen wir, damit wir in ständiger Verbundenheit mit Ihm leben können – auch in unserem Alltag.
Wenn wir in der Anbetung unsere Knie beugen vor dem Tabernakel oder vor dem ausgesetzten Allerheiligsten, dann tun wir dies aber auch stellvertretend für all jene, die Gott nicht mehr lieben können oder lieben wollen. Im wortlosen Beten bringen wir nicht nur alles Lob und allen Dank dieser Welt vor Gott, sondern auch alle Tränen und Leiden, alle Enttäuschung und Verbitterung. Stellvertretend bitten wir Ihn auch um Vergebung für jene, die ihn beleidigen und schmähen. Natürlich müssen Sie nicht unbedingt knien, wenn Sie zur Anbetung in die Kirche kommen, wenn Ihre Knie da nicht mehr mitmachen. Aber ich bitte Sie, dass Sie sich zwischen 12. August abends und 15. August morgens immer wieder mal ein wenig Zeit nehmen, um hier in der Stille vor Gott zu sein. Sie kommen hierher mit Ihren Sorgen und Anliegen, Sie kommen hierher, um für ihre Kinder oder Verwandte zu beten, Sie kommen hierher, einfach um in Stille vor Gott zu sein. Sie brauchen nichts beten. Sie brauchen nur Da-sein in Liebe.
In seinem Buch „Was mir am Herzen liegt“ beschreibt der bekannte geistliche Schriftsteller Henri J. M. Nouwen seine Begegnung mit Mutter Teresa (S. 80). Er versucht, sie davon zu überzeugen, wie schwierig es sei, als Christ all' seine Arbeiten auf die Reihe zu kriegen. Er zählt ihr auf, dass er Professor sei und neben seinen Vorlesungen auch zahlreiche Studenten geistlich begleite. Außerdem arbeite er in der „Arche“ mit, einer aus Frankreich stammenden Erneuerungsbewegung, deren Mitglieder mit Behinderten zusammenleben. Er sei ein gefragter Exerzitienmeister und Verfasser zahlreicher Bücher. Mutter Teresa hörte ihm geduldig zu, sah ihn an und antwortete ihm: „Nun gut, wenn Sie zu all dem täglich eine Stunde Anbetung vor dem eucharistischen Herrn verbringen, dann werden Sie alles gut machen.“
In unseren friedlosen und unruhigen Zeiten brauchen wir dringend einen Ort des Friedens und der Ruhe. Wir brauchen die Gemeinschaft mit Gott, denn ER ist es, der uns auch in diesen schwierigen Zeiten hält. Wenn Sie in den Tagen vor Maria Himmelfahrt immer wieder mal in die Kirche kommen, dann heiligen Sie Ihre Alltagsarbeit durch die Anbetung.
Diese Tage der Anbetung mögen für Sie alle ein Zeichen der Hoffnung werden, dass Gott der Herr auch unsere Zeit in seinen Händen hält und dass wir in seiner Liebe geborgen sind. Amen.
P. Josef Weber SDB
Don-Bosco-Straße 1
83671 Benediktbeuern